Mit Wing Tshun wurde ein Stück chinesische Kultur in den Westen transportiert. Nicht nur die chinesische Art zu kämpfen, sondern die chinesische Weise zu denken, erreichte den Westen.
Großmeister im Wing Tshun Ip Man hat der Welt ein gut gehütetes Geheimnis vererbt. Ip Man wanderte, nach dem 2. Weltkrieg, zurzeit als Teile Chinas durch Japan besetzt waren, nach Hongkong aus. Hongkong war seinerzeit britische Kronkolonie. Dort verdiente der Großmeister sein Geld, indem er chinesische Restaurantarbeiter in Selbstverteidigung unterwies. Später wurde die Hongkong Polizei auf Ip Man aufmerksam, die ebenso von ihm unterwiesen wurde. Mehr und mehr Schulen wurden in Hongkong eröffnet, weil Ip Man nicht die Ansicht alter Meister teilte, die Kampfkunst Wing Tshun sollte eine Geheimkunst bleiben. Aus dieser Zeit stammen viele gute Meister, die sich selbst rühmen „Schüler von Ip Man“ gewesen zu sein. Einer dieser Schüler, Bruce Lee, wurde ein berühmter Filmstar und begeisterte Menschen auf der ganzen Welt mit seinem Kampfkunststil Jeet Kune Do. Bruce Lee´s neuer Kampfstil wurde wesentlich von Wing Tshun beeinflusst. Von ihm stammt das berühmte Zitat: „Be water“. Ein anderer, Leung Ting (Ip Man´s Lieblingsschüler), fand den Weg nach Deutschland. Mit dem Kampfsport begeisterten Deutschen Keith R. Kernspecht, gründete Leung Ting einen großen Verband, von dem es heute überall auf der Welt Ableger gibt.
Niemand, der Selbstverteidigung lernt, ist frei von Ängsten, das war für die meisten schließlich Beweggrund Selbstverteidigung zu lernen. Diese Angst kann Berge versetzen oder, was in diesem Fall wichtiger erscheint, einen überlegenen Gegner das Fürchten lehren. Adrenalin ist eine tolle Sache. Adrenalin macht schnell, Adrenalin nimmt uns den Schmerz (falls wir doch getroffen werden). Der Angreifer wird niemals die Angst verspüren die Du fühlst. Als Opfer wird dein Körper eine Überdosis Adrenalin freisetzen, die dich zu einem wehrhaften Opfer macht.
Selbstverteidungsfähigkeit 1
Bevor ich mit meinen Beiträgen fortfahre: Ein paar Worte zur Effektivität von Wing Tshun in einer Selbstverteidigungssituation. Oft wird die Frage gestellt: „Funktioniert Wing Tshun im Ernstfall?“ Die Frage ist erlaubt, messen sich Wing Tshun Kampfkünstler nicht im Wettkampf. Ein „Messen“ geschieht bei jedem Training. Dabei sind alle Sinne gefordert. Dabei wird nicht unmittelbar um einen Sieg gekämpft, sondern um den Erfolg, etwas hinzulernt zu haben. Gleichwohl bleibt das Interesse, in einer Notfallsituation bestehen zu können. 99,9 % aller Konflikte, können verbal gelöst werden. Oftmals reicht eine kleine Geste, eine Verhaltensänderung. Warum nicht die Straßenseite wechseln, wenn damit Ärger vermieden werden kann? Oder konfliktträchtige Orte meiden, wo bekannt ist, dass ich dort ständig Ärger bekomme? Sich weniger provokant kleiden und benehmen? Oder sich fragen: „Wie wirke ich auf mein Umfeld. Warum bekomme gerade ich immer Ärger“. Diese Fragen werden selten gestellt. Bei Wing Tshun Selbstverteidigung ist die Frage nach dem Wie und dem Warum längst beantwortet, hier geht es um nackte Angst, die jeder Mensch verspürt, wenn er sich unvermutet in einer bedrohlich und ausweglosen Situation befindet.
Die folgenden Monate ging ich unregelmäßig zum Training. Ich war sportlich vielseitig interessiert, wegen Selbstverteidigung wollte ich andere Sportarten, die mir ebenso Spaß machten nicht vernachlässigen. Bei meiner ersten Schülergradprüfung lernte ich den Wing Tshun Meister (Sifu) kennen. Der Mann hatte mich mit seinen Fähigkeiten so sehr überzeugt, dass ich meine Bemühungen intensivierte und mich ausschließlich mit Kampfkunst Wing Tshun befasste. Nun ging es erst so richtig los. Ich besuchte jeden Lehrgang und übte fast täglich. Ich besuchte mehrmals wöchentlich den Schulunterricht auch in verschiedenen Städten (Dortmund, Werl, Soest, Bergkamen …), überall wo man in der Nähe Wing Tshun lernen konnte, war ich dabei.
Vor knapp 20 Jahren habe ich Wing Tshun Schüler gesehen, die miteinander Selbstverteidigung übten und dabei, dem Anschein nach, jede Menge Spaß hatten. Wie kann man eine Kampfkunst / Selbstverteidigung lernen und dabei lachen und Spaß haben?
Die Szene hat mich so begeistert, dass wollte ich ausprobieren. So war ich bereits einige Tage später beim Training. Zu dieser Zeit konnte man mich getrost als einen motorischen Legastheniker bezeichnen. Sagte der Lehrer ich sollte links vorgehen, so ging ich gewiss rechts vor. Ich machte alles verkehrt, was man verkehrt machen konnte und ich konnte selbst den langsamsten Bewegungen nicht folgen. Dabei hatte ich große Probleme mich zu konzentrieren und beim Training lachen und reden ging schonmal gar nicht.
Ich hatte mal wieder meinen Mund zu voll genommen und die beiden Trainerinnen, Nadine Lyskawa und Tanja Schröder vom TV Wickede wissen lassen, dass ich auch einmal selbst vorbeikomme und mit trainiere.
Und dann war es soweit. Unter uns: Ich musste schon all meinen Mut zusammennehmen, um am 23.3. dort aufzukreuzen. Sportlich bin ich nicht, gelenkig schon, von Selbstverteidigung doch keine Ahnung. Sozusagen ein Grünschnabel unter Profis.
Im hinteren Bereich der Turnhalle an der Engelhardschule waren bereits große Matten ausgelegt, die eigens für den Bereich Judo und Selbstverteidigung angeschafft wurden. Bevor ich es vergesse:
Nur für den „Frauen-März" wurde das Angebot des TV auf „Selbstverteidigung" ausgelegt, ansonsten läuft die Gruppe unter der Bezeichnung „Judo".
Um die Standfestigkeit auf den Matten zu halten, mussten „Turnschuhe" an diesem Abend zu Hause bleiben. Den besten Halt hat man mit nackten Füßen.
Aus dem Kreis der sonstigen „Judo-Gruppe" waren alle Mitgliederinnen in weißen Anzügen erschienen, jeweils mit farblich unterschiedlichen Gürteln. Sie flößten mir schon gehörigen Respekt ein. Aber genau wie ich, waren auch noch einige Teilnehmerinnen dabei, die schon an den ersten beiden Kursabenden teilgenommen hatten und von daher schon etwas Erfahrung hatten. Hierbei auch ein besonderes Bonbon: Alles einmal Gezeigte wurde wiederholt.
Dann ging es los. Zu Beginn einer jeden Stunde gibt es die gemeinsame Verbeugung im Kreis, d.h., ich achte mein Gegenüber und zolle ihr Respekt. Das kam mir bekannt vor, denn vor einiger Zeit hatte ich bereits eine Sendung hierüber im Fernsehen gesehen.
Nun wurde das Rückwärts fallen nach einem Sturz oder Stoß gezeigt:
Wichtig ist es, sich rund und klein zu machen
Kinn auf die Brust
Immer darauf achten, dass wir uns nicht mit den Händen abstützen
Möglichst die Hände auf die Knie legen.
Wenn wir frontal mit dem Messer oder einem Gegenstand angegriffen werden:
In die richtige Richtung ausweichen
Die angreifende Hand vom Angreifer erfassen
Angreifer zu Boden bringen (Bein stellen)
Wichtig: Das muss schnell gehen, um den Überraschungsmoment auszunutzen
Angreifer unter Kontrolle halten
Das Messer oder Gegenstand abnehmen
Mit Polizeigriff abführen oder Zeit zum Weglaufen nutzen
Anpöbeln / z.B. in der Disco
Laut schreien „Nein"
Pöbler zur Seite schubsen
Gegebenenfalls wiederholen bis andere auf uns aufmerksam werden
Angriff von hinten mit Umschlingen der Arme
Versuch, unsere Arme durch Überraschung des Angreifers zu befreien
Tritt auf den Fußspann oder vor das Schienbein
Wenn die Arme befreit sind, Schlag mit dem Ellenbogen in den Bauch
Tritt oder Stoß in die Weichteile des Angreifers und diesen somit außer Gefecht setzen.
Frau Rennebaum, die mir am nächsten stand, musste es 1 ½ Stunden mit mir aushalten, musste sich 90 Minuten um mich kümmern. Es hat auch alles ganz gut geklappt, sie hatte viel Geduld mit mir und wir haben einige Übungen mehrmals wiederholt.
Von allen Übungen war mir persönlich das richtige „Fallen" wichtig. Unabhängig von einem Angriff kann ich bei Glatteis ausrutschen oder, hervorgerufen durch andere Situationen, fallen. Um hierbei keinen Unfall bzw. bleibende Schäden davonzutragen, ist diese Abwehr schon sehr wichtig.
Ebenso das „Nein" rufen, das Abwehren, das sich selbst schützen.
Einen Angriff mit dem Messer oder einem anderen Gegenstand abzuwehren bedarf schon eines guten Training, ebenso der Angriff von hinten. Hierfür müsste ich noch mehrere Übungsstunden buchen, noch mehrere Kurse absolvieren.
Ich halte es mehr mit dem Selbstbewusstsein:
Aufrechter Gang
Kurzer Blick zur Gruppe, aber nicht zu lang, es könnte provozierend wirken
Hände nicht zur Faust ballen, die Gruppe könnte sich bedroht fühlen (eher gestreckte Finger)
Wenn möglich, die Straßenseite wechseln.
Fazit des Abends: Ein gutes Angebot, welches für mich persönlich eines ständigen Trainings bedarf.
Mit gewaltfreien Grüßen
Elvira Biekmann