Vor 2 Monaten war ich das erste Mal in meiner jetzigen Wohngegend. Die ersten Impressionen waren gemischter Natur – ich bin kein Mensch, der vorurteilsbehaftet ist. Der anliegende Kinderspielplatz war gut besucht von Jugendlichen, die uns argwöhnisch beäugten und voller Interesse beobachteten. Das kleine Umspannhäuschen war künstlerisch verziert von scheinbar ansässigen Sprayern. ‚HipHop – Don’t stop‘ lautet die Parole, die ich zwar von der Mentalität her teile, die aber in meinen Augen nicht von einem feuerspeienden Character auf einem Trafohäuschen verlautbart werden sollte.
Die Gegend war wirklich schön – und in diesem Falle nehme ich das Präteritum nicht nur der Erzählform wegen. Die Fassaden der Häuser waren einmal freundlich gestrichen, die Grünanlagen gut gepflegt. Mein Blick fiel jedoch auf abblätternde Farbe, zerbeulte Briefkästen und diverse Prospekte, wo der vermeidliche Kurier es vor Erschöpfung nicht mal geschafft hatte, diese wenigstens in den Müll zu werfen, wenn er sie schon nicht austragen konnte.
Meine Begleitung (eine gute Freundin), schüttelte bereits mit dem Kopf, bevor ich überhaupt alle Eindrücke erstmal aufnehmen konnte.
Zwei ältere Herren kamen uns entgegen, die sich scheinbar wie im Urlaub fühlten. Zumindest sah ihre Bekleidung wie das typische Klischeeoutfit der Deutschen in den Köpfen unserer europäischen Nachbarn aus. Feingeripptes Unterhemd, kurze Hose und braune Sandalen wiesen sie eindeutig als bequeme Menschen aus – oder als geschmacksimun. Im Kontrast dazu standen die erwähnten Jugendlichen, die peinlichst auf ihre selbsterwählte Uniformität achteten. Cordon-Jacke, Jogginghose und mittellaute Handymusik scheinen hier an der Tagesordnung zu stehen. Nur einer stach deutlich aus der Gegend heraus: Ein junger Mann, ich schätzte ihn auf Ende 20, im roten Hemd adrett gekleidet wartete mit einer Mappe auf der anderen Seite der Siedlung. Hier hatte ich ganz klar meinen Vermieter vor mir, der sich mir diesbezüglich nicht erst vorstellen brauchte.
Am Ende des Tages hatte ich meinen Mietvertrag und fuhr mit der Gewissheit nach Hause, dass ich ab sofort in der beschriebenen Siedlung wohnen würde.
Ich würde von nun an ein Doppelleben führen: Tagsüber wäre ich ‚Herr Schindler‘, der im Anzug gekleidet seiner Arbeit nachgeht. Doch sobald sich der Tag dem Ende neigt und meine Wohnung mich zur Ruhe ruft, würde ich zu ‚Marci‘ werden, der im Feinripp durch die Gegend zieht.
Tarnung ist halt alles.