Do 22 Mai 2014
weltwärts-Zwischenbericht
von Simon Jäger in Blogs
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Hallo ihr Lieben in Deutschland!
Wie versprochen, lade ich hier auch meinen Zwischenbericht nach neun Monaten des Freiwilligendienstes hoch. Viel Spaß!
„weltwärts- Zwischenbericht nach 9 Monaten
– Simon Jäger, Ghana –
Nach einem Dreiviertel meines einjährigen Freiwilligendienstes in der Peace of Christ Community in Ghana kann ich ein überwiegend positives Resümee ziehen. Mir geht es in allen Belangen – Arbeit, Gesundheit, Privatleben – mit kleinen Abstrichen gut. In Puncto Arbeit macht mir die tägliche Routine etwas zu schaffen. Denn die Tage in PCC sind stets streng durchstrukturiert, was sich auch auf meinen Arbeitsalltag auswirkt. So sieht jeder Tag bis auf wenige Ausnahmen ziemlich gleich aus. Ich beginne mit der „walking time“, begleite danach Michael beim Frühstück und begebe mich dann in mein kleines Büro, um den vorherigen Tag nachzubereiten und den kommenden zu planen. Im Anschluss habe ich einige Special Attentions, bis ich wieder Michael beim Essen unterstütze. Nach der zweistündigen Mittagspause habe ich zwei weitere Special Attentions mit Kojo Joseph und Theresa, an die die tägliche Zeit im Pool anknüpft. Nach dieser gibt es Abendessen – natürlich wieder mit Michael.
Für viele Bewohner/innen der Lebensgemeinschaft, unter denen es einige Menschen mit Autismus gibt, ist diese alltägliche Struktur sehr hilfreich, um das quirlige Leben in PCC zu meistern. Und es gibt durchaus vereinzelte Tage, die auf Grund verschiedener Vorkommnisse (z.B. Parties zur Ankunft/Abreise von Freiwilligen und Mitarbeitern, Spiele der ghanaischen Nationalmannschaft, Regen/Unwetter, Sportfest, Gottesdienst, …), ihrem normalen Rhythmus entkommen. Dennoch gleichen sich die meisten Tage wie ein Ei dem anderen, was für einen Menschen wie mich, der ab und an aus Routinen ausbrechen muss, nicht immer ganz leicht ist. Ich weiß aber auch, dass es in einem gewissen Maße auch an mir liegt, mich dieser Situation anzupassen. Zum Glück wurde es mir seitens PCC gestattet, mein Programm selbst mitzugestalten. So habe ich meine Zeit im Büro etwas reduziert und mehr Special Attentions übernehmen können. Und ich nehme alle drei bis vier Monate andere Bewohner/innen in mein Programm auf.
Eine weitere Abwechslung brachte eine tolle Spende aus England: ein iPad mit einer ziemlich guten Talker-App. Gedacht war die Spende für den Bewohner Paa Yaw, mit dem ich nun schon seit ein paar Monaten den Umgang mit diesem Gerät übe. Da das iPad leider nicht wirklich PCC-alltagstauglich ist, da es ohne Beaufsichtigung eines Erwachsenen wohl keine fünf Minuten überleben würde, soll der Talker nun auch von anderen Bewohnern/innen im Rahmen der eins-zu-eins-Betreuungen benutzt werden. Kommende Woche werde ich dann auch mit Emmanuel Jerry Talker-Training haben. Da ich vorher nur geringe Erfahrungen mit Talkern hatte, ist dies eine willkommene Herausforderung.
Da mein Freiwilligendienst sich seinem Ende nähert, muss ich langsam auch zusehen, dass ich meine Arbeit angemessen beenden kann. Hierzu gehört auch, dass ich kommenden Freiwilligen den Einstieg in das Screeningprogramm erleichtere, indem ich eine Art Anleitung hierfür schreibe. Außerdem sind die Kurzzusammenfassungen der Screenings für die Caregiver auf mysteriöse Weise verschwunden. Bevor ich PCC verlasse, möchte ich diese unbedingt ersetzen.
Aber auch mental muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, bald nicht mehr hier zu sein. Dieser Prozess hat aber schon vor einigen Wochen begonnen, sodass auch die Freude auf meine deutsche Heimat, Familie, Freunde und ziemlich viele Lieblingsspeisen stetig steigt. Dennoch waren Ghana und PCC bei meiner Ausreise meine Heimat, und ich habe viele Menschen kennengelernt, die ich liebgewonnen habe. Das wird mir alles wohl sehr fehlen.
Aber sehr gespannt bin ich darauf, zu bemerken, was dieses ganze Jahr hier in Ghana mit mir gemacht hat. Ich denke nämlich, dass mir das erst deutlich wird, wenn ich den Kontrast Ghana-Deutschland wieder ganz deutlich spüre. Reaktionen von Familienmitgliedern und Freunden werden mir natürlich auch so einiges über meine Entwicklung widerspiegeln. Und gewisse Entwicklungen, die ich bereits an mir bemerkt habe (darunter ein weitaus höheres Maß an Geduld und Gelassenheit, Offenheit und Toleranz) möchte ich in Deutschland nicht verkümmern lassen.
Was mich sehr gefreut hat, ist eine Erkenntnis, die ich erst vor ein paar Tagen machte: Ich habe durch die Distanz zu Deutschland und durch das Kennenlernen eines so unterschiedlichen Landes wie Ghana eine ganz andere Beziehungen zu meinem Heimatland aufgebaut. War ich doch vorher gar nicht so begeistert von Deutschland, so sehe ich nun, wie sehr ich dieses Land doch mag. Es entspricht wahrscheinlich der Klischee-Lernerfahrung von Freiwilligen, dass man erst zu schätzen lernt, was man hat, wenn es plötzlich unerreichbar ist. Dennoch kann ich dies lauthals bejahen. Und ich sage das auch nicht nur, weil Deutschland so vieles an Sicherheit, Komfort und Vielseitigkeit bietet. Ich spreche eher von der deutschen Kultur. Durch den Kontrast, den ich zwischen ghanaischer und deutscher Lebensweise erleben konnte, habe ich viele Elemente deutscher Kultur und ihrer Werte in mir entdeckt, die mir ausgesprochen gut gefallen. Ich freue mich ungemein darauf, wieder nach Deutschland zurückzukehren und die neue Beziehung zu meiner Heimat zu leben.“
