Die zweite Station des Grand Prix führte uns in der vergangenen Woche nach Polen. Im Vergleich zum Turnier zuvor in Italien eine gänzlich andere Situation – in vielerlei Hinsicht. Sportlich steigerte sich unser Team deutlich. Zwei Siege – gegen Gastgeber Polen (3:0) und Kasachstan (3:1) – sowie eine knappe Niederlage (2:3) gegen den Weltranglistendritten Japan bedeuteten eine gute Bilanz.

Ansonsten war die Tour nach Polen eine Reise in eine „andere Welt“. Auf der einen Seite erkennt man im Land an vielen Stellen, vor allem in Großstädten, den starken westlichen Einfluss. Von modernen Shoppingcentern, Hochhäusern mit Glasfassaden über die Geschäfte und Filialen bekannter Hersteller erinnert viel an Deutschland. Aber es passiert auch, dass man neben einem modernen Geschäft einen kleinen Schuhmacher-, Bäcker- oder Schneiderladen entdeckt, der in Größe und Ausstattung an die Verhältnisse des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Je weiter es aus den Großstädten hinaus aufs Land geht, desto häufiger bestätigt sich dieser Eindruck. Gepflasterte Straßen, Holzhäuser und Bauern mit Pferdekarren suggerieren, dass mancherorts die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Umso erstaunlicher und beeindruckender hingegen die „Volleyball-Welt“ Polens. Vor einigen Jahren schaffte es die Sportart, sich neben dem von Skandalen gebeutelten Fußball zu etablieren. Statt Fankrawallen im Fußball wollte das polnische Fernsehen lieber einen Sport zeigen, der positive Emotionen und Begeisterung vermittelt – fündig wurde man beim Volleyball. Heute hat sich Volleyball in Polens Sport- und Fernsehwelt ganz oben etabliert, wird jedes Spiel als tolles Gesamterlebnis angeboten, zu dem Heerscharen begeisterter Fans strömen. Was dies in der Realität bedeutet, durften wir beim Spiel gegen den Gastgeber erleben. Die hochmoderne Halle (2010 erbaut, mit VIP-Logen und einer 11 x 6 Meter großen Videoleinwand) eines der Hauptsponsoren der polnischen Nationalmannschaft war mit tausenden polnischen Anhängern gefüllt, die aus dem ganzen Land angereist waren. Nahezu alle gekleidet in Weiß und Rot, mit Trikots, Mützen, Schals oder Fahnen. Vor der Halle boten zahlreiche Stände die neuesten Fan-Artikel an, so dass auch wirklich jeder sein Team passend gekleidet anfeuern konnte.

Auf dem Außengelände, mit bis zu 6 x 6 Meter großen Aufstellern, und in der Halle (auf dem digitalen Bandensystem und Plakaten groß wie Reisebusse) präsentierten sich die Sponsoren des polnischen Nationalteams. In den Spielunterbrechungen starteten Showacts oder Gewinnspielaktionen für die Zuschauer – die Stimmung war während des gesamten Spiels absolut beeindruckend.

Am imposantesten war aber die Situation vor dem Match, in der die polnische Nationalhymne gespielt wurde. Während bei uns die Hymne musikalisch präsentiert wird, singen die polnischen Fans lauthals a cappella, Fahnen und Schals dabei in die Höhe gestreckt. Auch wenn es sich nicht um unsere Hymne handelte, muss ich offen zugeben: Dieser Moment sorgte für Gänsehaut!

Im Fernsehen wurde das Match geradezu auf eine Art und Weise zelebriert, wie man es bei uns nur von Fußball-Übertragungen kennt: Lange Vor- und Nachberichterstattung mit einer Expertenrunde, Interviews und Analysen der Teams direkt aus dem offenen Studio neben dem Court. Das Spiel selbst wurde dann aus nahezu jedem Blickwinkel von insgesamt 13 Kameras – angereichert mit Aufschlaggeschwindigkeitsmessung und Videobeweis bei kritischen Entscheidungen – übertragen. In den Werbepausen gab es moderne Reklamefilme zu sehen, in denen verschiedene Volleyballstars Produkte präsentierten.

Anschaulicher als an diesem Tag hätte man Unterschiede zwischen der deutschen und polnischen Sportwelt nicht erleben können. Während in der Arena Tausende begeisterte Volleyballfans bei unserem Spiel mitfieberten, spielte auf der anderen Straßenseite Wisla Plock (polnischer Fußball-Pokalsieger von 2006). In einem Stadion, das in Deutschland wohl nicht einmal die Lizenz für die Regionalliga erhalten würde und vor deutlich weniger Zuschauern. Eine Situation, die in Deutschland undenkbar ist. Aber Polen ist, aus Sicht eines Volleyballers, tatsächlich eine andere Welt.


Über die Autorin/den Autor:  Der Halveraner Matthias Willnat betreut die Deutsche Volleyball-Frauen-Nationalmannschaft als Teammanager auf dem Weg zur Europameisterschaft, die im September im eigenen Land stattfindet. Für come-on.de führt Willnat ein Tagebuch der Ereignisse. Alle Beiträge der Autorin/des Autors: