Mi 8 Aug 2012
Im Vollsprint die Ablage machen
von Jens Lang in Blogs
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Bis vor etwa zehn Tagen habe ich auf die Erlaubnis vom AOC gewartet, dass ich meinen Blog hier ueberhaupt schreiben darf. Zunaechst hiess es naemlich ganz klar, dass das Bloggen von akkreditierten Personen in der Presse (Print oder Online) waehrend der Olympia-Akkreditierung untersagt sei. Dahinter steckt das IOC, dass damit verhindern will, dass irgendein akkreditierter Athlet oder Coach aus den Olympischen Spielen zusaetzlichen Profit erzielt. Diese Regel zielt natuerlich in erster Linie nicht auf mich, sondern eher auf einen Roger Federer, Kobe Bryant oder Usain Bolt, da diese Jungs fuer einen Olympia-Blog egal in welchem Medium die Hand aufhalten wuerden. Aber nun ist alles ok, und ich kann weiterschreiben.
Es gaebe nur ganz wenige Orte an die ich ziehen wuerde, wenn ich aus Australien aus irgendeinem Grund noch einmal wegziehen muesste. New York ist einer davon, San Francisco ein weiterer und moeglicherweise waere London ein Dritter (allerdings nur fuer begrenzte Zeit). In jedem Fall waere das Olympische Dorf waehrend der Olympischen Spiele ein Ort an dem ich es fuer einige Zeit aushalten wuerde. Man ist die ganze Zeit unter Leistungs- und Profisportlern, bekommt Essen und viele andere Dinge umsonst, kann den besten Athleten der Welt bei der Arbeit zuschauen und selbst viel Sport treiben. Der Slogan der Spiele “Inspire a generation” und der des AOC “the inspiration of our nation” treffen es sehr gut: Noch nie in meinem Leben war ich in einer inspirierenderen Umgebung, als bei den Olympischen Spielen und im Olympischen Dorf.
Der Fitnesscenter im “Village” ist so gross, dass die Betreiber extra eine Karte angefertigt und an alle Bewohner ausgegeben haben. Drinnen findet man das Beste vom Besten: Die neuesten Geraetentwicklungen der Spitzen-Fitnessmarke, die von den besten Athleten der Welt benutzt werden. Selbst wenn man halbwegs fit ist und gescheite Konditionswerte mitbringt kommt man sich da drin wie ein bescheuerter Hampelmann vor. Neulich war ein Sportkamerad aus einem spanisch-sprachigen Land neben mir auf dem Laufband, der lief etwa eine halbe Stunde lang in einem Tempo, das fuer mich nur im Vollsprint zu schaffen waere. Er sah aus, als koenne er nebenbei telefonieren, die Ablage machen oder sich eine Suppe kochen. Anschliessend ist er mit seinem Coach rueber zu den Matten gegangen, hat eine halbe Stunde fieses Bauchmuskeltraining absolviert, um dann wieder zurueck aufs Laufband in den Vollsprintmodus zu gehen. In dem Moment habe ich nur den Kopf geschuettelt. Als naechstes habe ich an meinem Koerper hinuntergesehen und mir ueberlegt wie ich die kleinen Speck- und Schwabbelstueckchen loswerde.
An einem anderen Tag habe ich einen russischen Ringer gesehen, der sich in seinem Sweatsuit, einem luftundurchlaessigen Trainingsanzug in dem man anfaengt zu schwitzen wenn man nur an Sport denkt, auf einem der Bikes verausgabte bis er das Fruehstueck in eines seiner Handtuecher kotzte. Sein Coach half ihm die Sauerei wegzumachen und zeigte anschliessend auf seinen 120kg Trainingspartner, der fuer die naechste Trainingseinheit am Mann auf der Matte bereit stand.
Das Training in diesen Sweatsuits gehoert vor allem bei den Boxern zum Standard, wenn sie sich kurz vor ihrem Auftritt auf Kampfgewicht bringen wollen, bzw. muessen. In australischen Team gibt es z.B. einen Kaempfer in der Leichtfliegengewichtsklasse, das ist die Klasse bis 49kg, der mich von seiner Statur her an Pinocchio erinnert. Er erzaehlte mir, dass sein Normalgewicht bei 52kg laege und er vor jedem Kampf in den Sweatsuit und drei Kilo runtertrainieren muesse. Es ist mir ein absolutes Raetsel, wie jemand der zwar drahtig und durchtrainiert ist, dessen Haarspitzen mir jedoch gerade an die Brustwarzen reichen und dessen Beine eher an ein Paar Zahnstocher erinnern, in einer Trainingseinheit drei Kilo verlieren kann. Da muesste er sich schon schaelen und seinen Rotschopf abrasieren lassen.
Echt interessant zu sehen sind auch die afrikanischen Langstreckenlaeufer, wenn sie zu ihren Mahlzeiten zur Essenshalle gleiten. Es ist kaum zu erkennen wann ihre Fuesse eigentlich Bodenkontakt haben, weil ihr Gang so federleicht ist.
Der TT-Wettbewerb ist hier mittlerweile fuer uns vorbei. Unsere Damen verloren zwar 0-3 gegen Deutschland, vergaben dabei jedoch einige Chancen auf ein deutlich besseres Ergebnis. Die Herren waren beim 0-3 gegen Singapur leider chancenlos.
Bis zur Abreise am 13. August haben wir hier also quasi Freizeit und die Moeglichkeit die Aussies in den anderen Sportarten live zu unterstuetzen. Bislang war ich beim Boxen, Wasserball, Hockey und beim Turmspringen. Das AOC hat jeweils ein begrenztes Ticketkontingent fuer die Events zur Verfuegung, in denen ein Australier teilnimmt. Beim Hockeymatch der Herren gegen das Team Great Britain waren wir insgesamt ca. 70 Leute, die dann allesamt mit dem Bus vor dem Hockeystadion vorfuhren. Am Anfang machten die Volunteers und Sicherheitskraefte am Seiteneingang noch den herzhaften Versuch alle von uns auf Tickets zu kontrollieren. Da wir jedoch nicht alle eines besassen, unsere Jungs aber trotzdem ohne Ausnahme unterstuetzen wollten, fingen unsere Basketballer vorne in der Schlange an freundlichen zu schieben. Dahinter schoben die Wasserballer und zack waren alle 70 von uns im Stadion auf der Athletentribuene. Leider ging das Spiel nach einer 3-0 Halbzeitfuehrung noch 3-3 aus. Aber unsere Jungs sind trotzdem fuer die naechste Runde qualifiziert.
Heute Abend folgt im uebrigen ein Highlight: Ich bin einer der gluecklichen, die im australischen Team Tickets fuer das Viertelfinale der Basketball-Herren gegen die USA haben. Ich will es mal optimistisch formulieren – die Aufgabe ist schwer, aber nicht unloesbar.
Come on Aussie…!
Viele Gruesse in die Heimat
Jens Lang
