Heute waren wir in Auschwitz, wohin man mit dem Bus von Krakau aus etwa anderthalb Stunden fährt. Laura, eine andere Freiwillige, wird dort im Zentrum für Dialog und Gebet arbeiten, und so konnten wir die Besichtigung des Konzentrationslagers mit dem Besuch ihrer zukünftigen Einsatzstelle verknüpfen.

Gänsehaut. Im negativen Sinne.

Ich denke jeder, der bereits in Auschwitz war, weiß, wie bedrückend es ist, durch die Baracken geführt zu werden, Zellen zu sehen, in denen die Häftlinge zu viert eingepfercht ganze Nächte verbringen mussten, ohne auch nur die Möglichkeit zu haben, sich hinzuhocken, und die Krematorien zu betreten. Die Zahlen der Ermordeten zu lesen ist eine Sache, eine andere ist es, den Opfern Gesichter zuordnen zu können. Im Lager sind Fotos einiger Häftlinge ausgestellt, die bei ihrer Registrierung aufgenommen wurden. Die Aufnahmedaten und die Todesdaten dieser Menschen, sagen viel über die Überlebenschancen in Auschwitz-Birkenau aus: manche überlebten Wochen, manche Monate. Bloß wenige länger. Zu schlecht war die Hygiene und Verpflegung, zu hart die Arbeit. Unsere Führerin (Referentin? Nicht, dass es in diesem Zusammenhang zu gewissen Assoziationen kommt), hat uns darüber informiert, dass das Essen eine Zeit lang aus bloß einem Löffel Marmelade oder Kartoffelpüree bestand.

Demnach ist es nicht erstaunlich, dass manche Insassen bei der Befreiung des Lagers weniger als dreißig Kilogramm wogen. Auch von ihnen sind Fotos vorhanden. Sie werden im Großformat ausgestellt. Genau so wie die Abbildungen von Roma- oder Sinti-Zwillingen, mit denen der Arzt Mengele menschen-verachtende Experimente durchführte.

Neben diesen Bildern hat mich etwas anderes besonders erschüttert: In einigen Räumen kann man hinter Glas Gegenstände betrachten, die die Nazis den Gefangenen bei der Registrierung oder nach deren Gang in die Gaskammern abnahmen: Koffer, Rasierpinsel, Schüsseln, Schuhe. Kinderkleidung. Und Haare. Es  waren diese Unmengen an Haaren, die mir einen Schauer über den Rücken gejagt haben. Das Wissen, dass die Strähnen, die sich vor mir auftürmten, wirklich ermordeten Frauen abrasiert wurden. Dann die Erkenntnis, was mit den Haaren normalerweise geschah: Sie wurden zu Polsterfüllungen oder Stoffen verarbeitet. Allein der Gedanke, eine Decke in Händen zu halten, die menschlichen Ursprungs ist -für die ein Mensch sterben musste- ist widerlich. Dieser gesamte industrialisierte Massenmord ist widerlich. War widerlich.

Der Besuch Ausschwitz war keine lustige Angelegenheit. Ganz im Gegenteil. Manchmal hätte ich heulen können. Doch gleichzeitig freut mich diese Reaktion auf die schrecklichen Eindrücke, mit denen man im KZ konfrontiert wird. Ich glaube, insgeheim hatte ich vor unserem Besuch befürchtet, vielleicht überhaupt nichts zu empfinden. Was hätte es über mich ausgesagt, wenn mich das Verbrechen, das mein eigenes Volk Millionen seiner Mitmenschen angetan hat, kalt gelassen hätte?

Das Zentrum für Dialog und Gebet

Die Frage, wie wir als Deutsche mit dem Holocaust umgehen sollten und können, wurde bei unserem anschließenden Gespräch mit einem Pastor im Zentrum für Dialog und Gebet angeschnitten. Als wir den Empfangsbereich des Zentrums betraten, war ich überrascht über die Hotel-Atmosphäre, die dort herrscht.  Ich hatte es mir wesentlich schlichter vorgestellt.

Die Einrichtung fungiert als Herberge, gleichzeitig finden dort Treffen mit Zeitzeugen, Auswertungsgespräche mit Schulklassen, etc. statt. Außerdem organisieren die Mitarbeiter Führungen durch Auschwitz um zu zeigen, dass es sich dabei durchaus um eine ganz normale Stadt handelt, in der ganz normale Menschen ein ganz normales Leben führen.

Da das Zentrum katholisch ist, verfügt es sogar über eine Kapelle. Daneben jedoch ebenfalls über eine Vielzahl an Gästezimmern, über mehrere Konferenzräume und über ein Restaurant, in dem wir ein Mittagessen bekommen haben. Insgesamt scheint Laura sich einen schönen Arbeitsplatz ausgesucht zu haben.

Nach dem Essen haben wir uns mit einem deutschen Pastor, der dort als Referent arbeitet und in seiner Jugend selbst als Freiwilliger in Israel war, unter einen Pavillon gesetzt. Es gab Cappuccino und wir haben ein sehr interessantes Gespräch geführt. Es würde zu weit gehen, dies in allen Einzelheiten wiederzugeben -vor allem, da mir eine kompltte Rekonstruktion schwer fallen würde- aber vielleicht interessiert es den ein oder anderen, welche Aspekte ich für erwähnenswert halte.

„Nicht weglaufen – zuhören“

Herr Manfred Deselaers hat ein polnisches Sprichwort zitiert: „Auf die Stimme der Erde von Auschwitz hören.“ Natürlich führe es zu nichts, den Finger in die „offene Wunde Auschwitz“ zu legen, da auf taktloses Verhalten bloß Ablehnung und Verschlossenheit folge. Man sei nicht in der Position, Trost spenden zu können, doch man müsse Zeitzeugen zuhören und sie ernst nehmen. Dies sei sowohl wichtig führ die Betroffenes als auch für einen selbst. Denn auch wenn man den Nationalsozialismus nicht erlebt habe, seien wir trotzdem Deutsche. Ich denke, er meinte, dass man das Individuum immer vor dem Hintergrund der Geschichte seiner Nation sehen müsse. Wenn ich das mal so formulieren darf. Wenn er an heutige Israelis denke, würde Herr Deselaers schließlich auch immer die Geschichte der Juden im Hinterkopf behalten. Ich hoffe, ich lege ihm jetzt nicht versehentlich falsche Wort in den Mund, aber das war ungefähr seine Aussage.

In dem Zusammenhang hat er auch von den unterschiedlichen Blickwinkeln der verschiedenen Nationen beziehungsweise Bevölkerungsgruppen auf den Holocaust gesprochen: Die Kzs auf der einen Seite als Ort, um die Opfer (teilweise Verwandte oder Vorfahren) zu betrauern, auf der anderen Seite als Mahnmahl.

Und Herr Deselaers hat uns etwas mit auf den Weg gegeben. Keiner würde von uns erwarten, dass wir die ganze Zeit bedrückt herum laufen würden wegen der Verbrechen, die Deutsche Minderheiten und nicht zuletzt den Polen (worüber man in der Schule kaum etwas lernt, aber dazu vielleicht später mehr) angetan haben. Wir seien aber als Freiwillige eine Art Botschafter zwischen zwei Kulturen. Wir hätten unseren Teil dazu beizutragen, dass Polen und Deutsche wieder so freundschaftlich miteinander umgehen können wie seit langem nicht mehr.

Sollte mein zweiter Blogeintrag nicht weniger trockenen Berichtcharakter haben? Vielleicht bin ich jetzt zu sehr ins Detail gegangen und habe Dinge beschrieben, von denen sich jeder an anderer Stelle ein eigenes Bild machen kann. Wenn ja, tut es mir Leid. Es waren einfach zu viele Eindrücke, die dieser lange Tag bereit gehalten hat.  Rückblickend könnte ich sogar sagen, dass heute der spannendste und prägendste Tag der ganzen letzten Woche war.  Jetzt bin ich ziemlich müde, also entschuldigt bitte auch etwaige Form- Grammatik- und Rechtschreibfehler.

Was noch?

Vielleicht abschließend noch ein paar wenige Worte dazu, was in den letzten beiden tagen sonst so hier in Krakau los war. Beim Sprachkurs haben wir teilweise Adjektive und Farben durchgenommen, zudem die Zahlen bis tausend und Verkaufsgespräche. Theoretisch sollte ich jetzt in der Lage sein, in einen Tante-Emma-Laden zu gehen und die Verkäuferin formvollendet um einen 967,30 Zloty-teuren Schwamm zu bitten. Leider muss ich noch Vokabeln lernen, wozu ich heute wahrscheinlich wieder nicht komme. Mist.

Wir haben eine hippe Straße im jüdischen Viertel gefunden. Ich habe „Zapiekanka“ probiert, ein typisch polnisches überbackenes Baguette mit Champignons und anderem Belag nach Wahl (angeblich sogar am besten Imbiss der Stadt). Außerdem habe ich einen der Gebäckkringel gegessen, die hier überall von Straßenverkäufern angeboten werden. Die sehen ein bisschen aus wir Simit, sind aber dicker und weicher. Es gibt sie mit Sesam, Käse, Mohn, Salz und Kümmel. Nicht schlecht!

Und Bier mit Sirup habe ich auch schon probiert. Ja, so etwas trinkt man hier tatsächlich. Sonst besondere Vorkommnisse? Es ist hier ziemlich heiß, gestern ein großes Gewitter. Vor ein paar Tagen Explosion an den Straßenbahnschienen in unserer Siedlung. Ich war gerade draußen und habe die Druckwelle gespürt. Ziemlich gequalmt hat es auch. Keine Ahnung, was da passiert ist. Zu Schaden gekommen ist anscheinend niemand.

Ich denke, das war erst mal das Interessanteste. Bevor ich gleich anfange, vollkommen in Ellipsen zu schreiben, mache ich lieber Schluss.

In diesem Sinne: Dobranoc!


Über die Autorin/den Autor:  Nachdem ich dieses Jahr mein Abitur am Märkischen Gymnasium gemacht habe, beginne ich diesen Sommer einen Freiwilligendienst in einem Freilichtmuseum in Olsztynek, einem Ort im Nordosten Polens neben Olsztyn (dem ehemaligen Allenstein). Entsendeorganisation ist Pax Christi. Keine Sekte, sondern eine internationale Friedensbewegung. Aus Versöhnungsbestrebungen nach dem zweiten Weltkrieg entstanden, entsendet sie seit 1992 junge Menschen nach Osteuropa. http://pax-christi-aachen.kibac.de/seiten/index.html http://muzeumolsztynek.com.pl Alle Beiträge der Autorin/des Autors: