Mein Gott, wer haette das gedacht: Nachdem ich mit der Ummeldung vom Marathon auf den Halbmarathon in Miami Pech gehabt habe (wie berichtet), hatte ich ja nur zwei Tage Vorbereitung auf den Marathon. Na ja, optimale Vorbereitung ist etwas anderes.

Umso ueberraschter bin ich, dass ich es geschafft habe. Ich bin ueber die volle Marathon-Distanz ueber 42 Kilometer durch Miami gegangen. Nicht schnell, aber es hat sich damit ein Traum erfuellt! Als ich Freitagabend die Renn-Unterlagen erhalten habe, habe ich noch gedacht, ich wuerde eh nach spaetenstens 10 Kilometern aus dem Rennen aussteigen. Und kaum war es Sonntagnacht, kam ich kaum aus dem Bett. Zu wenig Lust hatte ich auf den Lauf. Aber: Mir ging durch den Kopf: Bin das wirklich ich? Gebe ich auf, bevor ich es ueberhaupt probiert habe? Nein, sicherlich nicht. Wach geworden durch die kalte Dusche, ging es per Taxi zum Start. Zur Miami Airlines Arena, der Heimat der Basketballer der Miami Heat. Kurz vor 5 Uhr nachts (alsu gut eine Stunde vom Start entfernt war ich dort) kam ich an. Tausende von Laufern waren in der beeindruckenden Kulisse von Palmen, Lichtern und Sponsoren schon dort.

Ich habe immer geschaut, ob dort jemand ein T-Shirt aus Deutschland traegt, aber keine Chance! Ich, die in meinen Auswaerts Borussia Gladbach Shirts (!) und im Nike T-Shirt plus Muetze (wegen meiner langen Haare) und Handschuhen – ist halt ein Markenzeichen von mir – an den Start gegangen ist. Trotz der warmen Temperaturen. Damit hebe ich mich zumindest ab 🙂

Wow, allein das Drum-Herum: Beeindruckend! Leute aus der ganzen Leute am Start und jeder mit seiner eigenen Geschichte. Auch ich sollte, und wollte, dazu beitragen! Ich, die wenig traniert, aber umso motivierter im Kopf war. Nach drei Knie Operationen, grossen Problemen mit Huefte und Ruecken und als diejenige, die seit derm Auswandern alleine durchs Leben spaziert. Umso mehr bedeutet mir der Marathon.

Ich gehe an den Start, auch wenns sich die Geschichte wiederholt! Wie schon damals, 2009 in Fort Lauderdale, verpasse ich die USA-Nationalhymne weil ich vorm Dixie-Klo warte. Ja prima. Aber ich nutze die Zeit zum Dehnen! Nur die Hymne vorm Dixie-Klo zu Singen ist mir in dem Moment zu bloed 😉

Um 6.15 faellt der Start.  Nicht fuer mich. Ich bin, unter ueber 25.000 Laeufern, weit hinten einsortiert. Vor dem Start wurde man einsortiert nach geplantem Zieleinlauf. Ich habe bei der Anmeldung im Juni 2011 auf 4:00 spekuliert, entsprechend weit bin ich hinten. Aber vorher eben noch am dichtgedraengten Toiletttenhaeuschen an der riesigen Basketball-Arena.

Es muss gegen 6:30 gewesen sein, als ich mit einem Jubel-Schrei und Simply Reds Song „Fairground“ (einem meiner absoluten Lieblingssongs , und einem Song mit viel Bedeutung fuer mich) die Startlinie ueberquert habe. Stolz wie Oscar, natuerlich! Die Leute dort jubeln und ich fuehle mich gut. Ich schicke meine Gedanke nach oben, an die Leute, die mir fehlen. Und los gehts!

Die ersten Meilen gehen gut. Von Miami gehts nach Miami Beach. Dort, wo ich derzeit im 4-Bett-Zimmer eines Hotels wohne. Die Bruecke ist fuer mich ein Heimspiel, so gut kenne ich die Strecke. Ungefaehr 15 mal so lang wie der Rhynerberg, aber mit umso schoenerem Ausblick auf den Yachthafen und den Kreuzfahrthafen im Morgengrauen gehts Richtung Miami Beach. Ich fuehle mich gut, laufe dennoch sehr langsam. Schliesslich weiss ich, worauf ich mich einlasse, und dass ich nicht fuer einen langen Lauf traniert bin. Aber kaum auf der Bruecke, schalte ich meinen iPod zur Lieblingsband meiner Kindertage um: Bei Erasure kann ich einfach nur Mitsingen und Mittanzen, und das tue ich auch! Innerlich! Bei „Sometimes“ merke ich, wie ich trotz Laufen mit der Huefte anfange zu tanzen. So trashig der Song auch ist, aber er verbreitet gute Laune. Und mir Lust weiterzulaufen 🙂

Waehrend die ersten nur noch gehen, laufe ich weiter. So gut wie heute bin ich mit der Atmung usw noch nie klar gekommen. Wow! Zwieschendurch dehne ich das ohnehin getapte Knie. Aber, es haelt. Es ueberrascht mich selbst. Immer wieder ein Ziehen, aber das ist okay! Auch Huefte und unterer Ruecken machen mit! Und ich komme in Fahrt!

In Miami Beach am beruehmten Ocaen Drive angekommen, stehen auch die letzten Partygaenger der vergangenen Nacht zum Jubeln! Toll, denke ich. Selbst in Fort Lauderdale beim Marathon 2009 war nie solch eine Stimmung und so viele Leute am Strassenrand!

Besonders schoen: Ich kenne die Strecke. Bis zu dem Punkt, als sich die Spreu vom Weizen trennt. Marathon und Halbmarathon wurden in Downtown Miami auf eine andere Route geschickt. Ich, die als Kampfschwein bekannt ist, habe keine Sekunde ueberlegt und bin auf die Marathonstrecke eingebogen. Wohlwissend, dass es nun weit aus Miami heraus geht und es somit kaum noch Moeglichkeiten gibt, aus dem Rennen auszusteigen. Aber, bis dahin merke ich nur wenig Energieverlust. Und: Ich will es probieren. Ich, das Kampfschwein in Gladbach-Shorts 🙂 Lucien Favre wuerde es nicht anders wollen 😉

So ungefaehr zwischen Meile 14 und 15 fing genau das an weh zu tun, was mich vor dem Rennen schon gestoppt hat. Dank neuer Laufschuhe hatte ich Blasen an den Fuessen. Na ja, ich dachte, es sind ja  nur Blasen an den Fuessen. Nix wildes also. Denkste! Das Ganze wurde so schlimm, dass ich kaum auftreten konnte mit dem linken Fuss. Klar also, dass es den Rest der Strecke nicht besser wurde. Immer habe ich geschaut, wie es am Fuss aussieht. Es sieht nicht schlimm aus, tut aber so hoellisch weh, als wenn man in eine offene Wunde Salz streut. Und dann sehe ich die Laeufer vor und hinter mir. Leute mit Behinderungen, grosse und kleine Laufer, Leute mit extremen Uebergewicht. Und dann soll ich wegen einer tierisch schmerzenden Blase am Fuss aufgeben?

No way! Das bin nicht ich! Mit dem Fuss kann ich laengst nicht mehr auftreten, also humpel ich. Mal laufend, mal gehend. Kommt alles auf dasselbe hinaus! Alles tut weh. Aber dann sind da die Sprueche der Laeufer auf deren Shirts. Ein, ich sage mal sehr moppeliges Maedel, hat auf ihrem Shirts „Paciencia y fe“ geschrieben, also „Geduld und Glaube“. Das inspiriert mich. Genauso wie der Laeufer ohne Arme, der mit mir auf einer Hoehe ist. Wir alle koennen nicht mehr. Aber uns alle verbindet der Wille, das Ziel in der Zeit von unter 6 Stunden zu erreichen. Die Zeit ist mir so etwas von egal. Darum geht es nicht. Ich laufe, weil ich Lust habe in meinem (!) Miami zu laufen und weil ich zeigen will, dass man schaffen kann was man will, wenn man nur will. Also: Die Schmerzen im Fuss, in der Achillessehne und in der angeschlagenen Beinmuskulatur sind mir egal. Ich denke an mich, an meine Freunde, an Hamm, an alle, die gerade bei mir sind. Wer mich vom Laufen aus Hamm kennt weiss, dass ich kaum laechel beim Laufen. Entweder singe oder fluche ich. Schliesslich hoere ich meistens Rap-Musik wenn ich in Hamm laufe. Nicht gerade der beste Einfluss. Wer sich aber die Bilder aus www.ingmiamimarathin.com von mir anschaut, wird sehen, dass ich stets ein Laecheln auf den Lippen habe und die Faust zur Freude und Motivation nach oben strecke. Die Leute an der Strecke sind Wahnsinn! Das stachelt mich an! Das habe ich noch nie erlebt!

Ab dem Moment, wo sich Halbmarathon und Marathon trennen, gehts Richtung Coconut Grove und Key Biscayne. Letzteres habe ich bereits vor einigen Jahren zu Fuss erkundet. Coconut Grove kennen einige Touristen, zumindest die quasi Stadtmitte. Nun, ich hatte viel Zeit mir alles dort anzuschauen. Ich muss sagen: Schoene Ecke dort, aber mir bleiben nicht die netten Gegenden in Erinnerungen, die auch die Touristen kennnenlernen. Dort, wo die Menschen wohnen und uns Laeufer anfeuern und auch ab und an Fruechte und andere Staerkungen an uns verteilen, das bleibt haengen!

Und dann gehts auf die Zielgerade: Wer aber amerikanische Strassen kennt, weiss, wie weit die sein koennen. Genau diese Strasse kenne ich von Fussmaerschen, bin aber ueberrascht, wie fix alles geht. Ich habe mir selbst gedacht, ich spiele einfach 5 Mal den froehlichen Song Song „Sunrise“ von Simply Red ab, dann meusste ich da sein. Und tatsaechlich: Nur noch eine Meile, also gut 1,6 Kilometer plus die letzten 200 Yards. Knapp 2 Kilometer noch. Obwohl ich seit ueber 5 Stunden unterwegs bin, sind noch so viele Laeufer hinter mir. Und: Viele Leute stehen an den Strassen und peitschen uns an. Sie sehen an meinem Laeuferschild, dass ich Rabea heisse. Sie bruellen meinen Namen, rufen „Go Rabea go, you are almost there“. Ich laechel sie an, strecke immer wieder die geballte Faust in die Luft, bruelle „yeaahhh“ und laufe weiter. Die Schmerzen im Fuss sind da, aber sie sind mir egal geworden. Die Atmung klappt auch noch. Also noch mal durchatmen und auf die letzten Kilometer. Es geht durch das Bankenviertel von Miami, Touristen werden es kaum kennen. Dann noch eine Bruecke runter und auf die Zielgerade.

Ich bleibe noch einmal stehen. Durchatmen. Geniessen. Gedanken sammeln. Und den iPod noch mal auf Simply Red stellen:Ich will mit „Fairground“ einlaufen, wie ich schon den Start ueberquert habe. Und dann sehe ich all die Leute. Ueber 5 Stunden harren sie dort aus, mit Schildern ausgestattet und sie feuern jeden von uns an. Der Mann vor mir ist etwas schneller, er hat keine Arme mehr. Ich bewundere ihn. Genauso wie das Maedel, das locker das doppelte meines Gewichts auf die Waage bringt. Sie laufen vor mir ins Ziel ein. Ich freue mich fuer sie. Freue mich aber auch, als ich an der Reihe bin. Ich bruelle mich selbst ins Ziel, freue mich ueber die wunderschoenen Erlebnisse hier. Die Leute, ihre Emotionen und ihre Begeisterung. Die letzten Meter werde ich von Jubelrufen begleitet und, natuerlich, von Simply Red. Yo, das ist jetzt mein Fairground hier, also mein Rummelplatz. Besser haette die Songwahl nicht sein  koennen 🙂

Beim Ueberqueren der Ziellinie zeige ich nach oben, in Gedanken an meinen besten Freund, und ich bruelle ich Freude aus mir heraus. Ich habe geschafft. Ich weiss nicht wie und warum, aber ich freue mich.

Im Ziel ziehe ich sofort die Schuhe aus, mein rechter Fuss und die Achillessehne (sie wird sofort dick) tun sooooo weh. Jeder der mit begegnet, gratuliert mir zum Finish. Ich glaube, das macht man hier in den USA. Und es sind die Geschichten am Rande, die die Laeufer ausmachen. Meine Geschichte ist die einer Auswanderin mit drei Knieoperationen, einem Hueftschaden und der Geschichte einer 27-Jaehrigen, die derzeit voellig auf sich allein in den USA gestellt ist. Ich zeige: Man kann schaffen was man will, wenn man nur will.

Im Ziel treffe ich andere Menschen mit eigenen Geschichten. Die letzten Kilometer war ich mit dem Mann ohne Arme auf Augenhoehe, im Ziel gratuliert er mir und wir kommen ins Gespraech. Er sagte, es sei sein erster Marathon und er wolle zeigen, dass er es schaffen kann. Also wie ich. Seine Geschichte beruehrt mich. Genauso wie die vieler der anderen 25.000 Laeufer. Jeder hat heute Geschichte geschrieben. Das ist der Unterschied zu Deutschland: Hier laufen die Leute ihren Marathon, um es ein mal im Leben zu schaffen. In Deutschland wurde ich seither stets gefragt, welche Zeit ich gelaufen sei. Ich sage: Es ist mir egal. Ich hatte andere Ziele. Mein Gewinn: Wunderschoende Erlebniss, die ich mein Leben lang mit mir trage. Seine gelaufene Zeit vergisst man schnell, aber diese Erlebniss bleiben.

Ich bin stolz auf mich, dass ich es geschafft habe. Mein Dank gilt allen Laeufern von Miami (laut Statistik war ich wohl die Einzige aus Hamm) und auch meinen Freunden und Bekannten in Hamm. Ihr wisst, wer ihr seid!

Als ich gestern zurueck im Hotel war, wurde ich von einem anderen Laeufer angesprochen. Er hatte einem anderen Hotelbewohnener Bescheid gegeben, dass ich am Humpeln sei wegen der Achillessehne. Der Physiotherapeut hatte mir auch gleich seine Hilfe angeboten. Nett! Na ja, seither folge ich nur den Urinstinkten des Menschen: Schlafen und Essen 😉  Bin doch sehr muede seither. Mal sehen, wie es mit der Sehne weitergeht.

Vorhin habe ich aber den iPod wieder abgespielt: Als Erasures „Always“ und „Sometimes“ lief, konnte ich trotz starkem Muskelkater und Achillessehnenverletzung nicht anders: Ich musste einfach tanzen. So trashig Erasure ist, so sehr versprueht die Band gute Laune. Also: Morgen bin ich wieder auf den Beinen und gehe den Fuehrerscheintest erneut an. Und dann sehen wir weiter! Wie beim Marathob eben: Aufgeben gilt nicht 🙂

Danke an alle, die den Marathon moeglich gemacht haben! Ich habe vor dem Lauf auf meinen Laufschuhen die Namen einiger wichtiger Leute aufgeschrieben. Darunter sind auch die Kollegen vom WA und auch alle Rhyneraner. Aber eigentlich alle Hammer! Ich bin fuer Hamm gestartet und in Gedanken bei euch!

Ich habe uebrigens hier schon alle geschockt, als ich bereits gestern angekuendigt habe, dass ich auch in gut 4 Wochen auch in Fort Lauderdale (dort habe ich 2009 meinen bis dahin einzigen Marathon gemacht)  wieder an den Start gehe. Aber dieses Mal moechte ich etwas zurueck geben. Ich moechte mich als Helfer beteiligen. Also einer von denen sein, die die Leute nach vorne treiben. Die Leute haben mir so viel gegeben, das moechte ich in Fort Lauderdale zurueckgeben. Hoffentlich, habe ich dann auch bereits einen Job… Naechstes Mal mehr!

Alles Liebe! Viele Gruess nach Hamm 🙂 Rabea

 


Über die Autorin/den Autor:  Rabea Wortmann beginnt in Florida (USA) ein neues Leben. Ueber die Fortschritte, am anderen Ende des Atlantiks Fuss zu fassen, berichtet die 27-jaehrige Auswanderin und langjaehrige WA-Mitarbeiterin in ihrem Blog. Alle Beiträge der Autorin/des Autors: