Do 19 Jul 2012
Spiesser-Import, Kava und London 2012
von Jens Lang in Blogs
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Am 12. Juni war es genau ein Jahr her, seit ich hier mein neues Leben in Australien begonnen habe. Zurueckblickend ist es ziemlich unglaublich, wie schnell dieses Jahr, bzw. mittlerweile sind des ja bereits 13 Monate, vergangen ist. Kann mich nicht erinnern, dass Zeit jemals so schnell verflogen ist. Wenn das so weitergeht bin ich morgen 55.
Die Gewissheit bleibt jedoch nach wie vor die gleiche – es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Die letzten Wochen standen ganz im Zeichen der Olympischen Spiele in London. Die Aufregung und Vorfreude steigt bei allen Beteiligten spuerbar, und so ist das auch bei mir. Es werden meine ersten Olympischen Spiele, und es macht mich unheimlich stolz Teil des australischen Olympiateams zu sein. Ja naeher die Spiele ruecken, desto groesser wird die Anzahl der Termine. Radio + TV da, Zeitung hier, Anti-Doping-Schulung dort, usw. Das Interesse und die Begeisterung fuer die einheimlichen Olympiaathleten ist hier in Australien vielleicht noch ein kleines Stueckchen groesser als in Deutschland, weil die Aussies ein so sportverruecktes Volk sind. Auch ich muss in diesen Tagen und Wochen Interviews geben und mich dabei an die AOK-Vorgaben (nee, nicht die der Krankenkasse, sondern die des Austr. Olymp. Kommittees…) und Richtlinien zum Umgang mit Medienanfragen erinnern und halten.
Heute vormittag schliesslich war es dann soweit: Abflug mit Qantas von Brisbane ueber Melbourne und Singapur nach London. Zusammen mit dem TT Section Manager reise ich zwei Tage vor dem Team an, um mich mit dem Umfeld vertraut zu machen und die Ankunft der Mannschaft vorzubereiten.
Wie gross die Begeisterung und Anteilnahme der Australier an Olympia ist bekomme ich schon waehrend der Flugreise mit. Am Flughafen und im Flieger werden Section Manager Paul und ich regelmaessig angesprochen und ausgefragt. Die Qantas-Crew des riesigen Airbus A380 behandelt uns wie rohe Eier, und selbst beim Zwischenstopp in Singapur bekommen wir Sympathiebekundungen und Unterstuetzung von den Australiern, die gerade auf der Durchreise sind und an unseren Shirts die australischen Farben und das Olympialogo erkennen.
Das verdeutlicht mir noch mehr welch ein unglaubliches Privileg es ist Teil der australischen Olympiamannschaft zu sein. Damit einher geht eine Verantwortung, vor der ich grossen Respekt habe. Denn die ganze Nation steht in den kommenden Wochen hinter der Mannschaft und unterstuetzt sie aus der Ferne. Der Claim des AOK heisst uebersetzt “Das australische Olympiateam – die Inspiration unserer Nation.” Das ist eine hohe Messlatte, und gerade deshalb sollte es fuer mich wie fuer alle anderen Teammitglieder die Aufgabe sein in London ein guter Botschafter Australiens und ein Vorbild fuer andere zu sein.
Nach Ankunft und Akkreditierung am Flughafen Heathrow verbringen wir zunaechst zwei Tage im Olympischen Dorf. Anschliessend geht es am 20. Juli weiter nach Preston, wo ein ich ein viertaetiges Trainingslager mit dem US-amerikanischen Team, sowie einem Vorbereitungstestspiel gegen die Gastgeber aus England organisiert habe. Am 24. Juli geht es zurueck nach London, dann zieht auch die TT-Mannschaft ins Olympische Dorf ein. Dort steht die Einkleidung, sowie einige Mannschaftszeremonien und Team Meetings auf dem Programm. Nach zwei Trainingstagen unter den Olympiabedingungen steht dann am 27. Juli die Eroeffnungsfeier an. Mit zwei Ausnahmen muss ich meinen Spielern leider die Teilnahme daran untersagen, da am naechsten Tag um 9h morgens fuer sie der Wettkampf beginnt. Und die Eroeffnungszeremonie, bei der man ca. sechs bis sieben Stunden im Stehen verbringt (je nach Position im Alphabet steht man entweder vor oder im Stadion bis zu 3h) und erst gegen Mitternacht zurueck im Olympischen Dorf ist, eignet sich als Vorbereitung darauf schlecht.
Ueberhaupt sind die Olympischen Spiele ein Unternehmen, dessen Groesse und Einfluss die eigene Vorstellungskraft ueberfordern. Es ist das ultimate Sportevent, und Ziel fuer jeden ambitionierten Profiathleten. Das Austr. Olympische Kommittee setzt verstaendlicherweise hoechste Anforderungen an die Sportarten und die Mitglieder der Olympiamannschaft. Die Standards, Richtlinien und Vorgaben sind sehr komplex – zum Beispiel existiert allein fuer den Nominierungsprozess unserer Olympiaspieler ein 65-seitiges Handbuch (!). Manch einer meint vielleicht, dass man dem AOK nach dem Olympia-Qualifikationsturnier eine Email schreibt und ein Word-Dokument anhaengt auf dem steht, dass wir gerne Spieler X und Y fuer die Olympiamannschaft nominieren wuerden, und das war’s. Weit gefehlt, ganz so leicht ist es nicht.
Die Olympischen Ringe sind zudem das am haertesten bewachte und geschuetzte Markenzeichen der Welt. In Brisbane musste eine Sportsbar ein Banner von der Eingangstuer entfernen, mit dem der Betreiber lediglich die taegliche Live-Uebertragung der Olympischen Sportevents beworben hatte. Da es die Olympischen Ringe und das Wort Olympia enthielt stand ruckzuck das AOK auf der Matte.
Eine sehr aufregende und einzigartige Zeit liegt also in den naechsten vier Wochen vor mir. Aber schon jetzt freue ich mich auf den Moment, wenn ich am 15. August hier nach Brisbane zurueckkehre.
Zuletzt hatte ich das Glueck vier Wochen am Stueck zuhause in Brisbane verbringen zu koennen. Wegen des vollgepackten Turnierkalenders war das in diesem Jahr bislang eine Ausnahme. Mir hat as gut getan, den so sehr ich es auch schaetze viel von der Welt zu sehen und “rum zu kommen”, zuletzt hatte ich davon genug.
Die letzte internationale Reise ging Anfang Juni auf die Fiji-Inseln. Mit zehn Spielern war ich dort fuer acht Tage bei den Ozeanienmeisterschaften. Das Turnier ist unsere Kontinentalmeisterschaft, also das Aequivalent zur EM. Wir sind in Ozeanien die dominierende TT-Nation, lediglich Neuseeland kann uns das Wasser reichen. Ansonsten spielen wir dort gegen Nationen von den Pazifikinseln wie Nauru, Tahiti, Neu-Kaledonien, Vanuatu, Kiribati, etc.
Viel sehen tut man auf diesen Turnierreisen nicht unbedingt, aber die Woche hat zumindest ausgereicht um zu erkennen, dass das Leben auf Fiji langsamer vorwaerts geht. Wenn es sich ueberhaupt irgendwie bewegt. Die meisten Insulaner sind sehr entspannt und dick und versuchen sich so wenig wie moeglich zu bewegen. Ein wichtiges Lebensziel scheint zu sein sich einen moeglichst grossen Bauch anzufressen, um dadurch noch mehr Platz fuer noch mehr Essen zu haben.
Die Bewohner sind insgesamt sehr happy und freundlich und freuen sich ueber Besuch. Aber leider ist die Hauptstadt Suva (dort fanden die Meisterschaften statt), pardon, ein stinkendes Drecksloch und der haesslichste Flecken der Fiji-Inseln. Es wuerde den Fijis auch gut tun, wenn sie sich halbwegs gescheite Strassen bauen wuerden. Die ca. 130 km zwischen Nadi, der Stadt mit dem internationalen Flughafen und Suva, der Hauptstadt faehrt man mit dem Auto in ca. 4 Std. Eventuell in 3,5, wenn Schumi am Steuer sitzt. Es gibt keine Strassenlaternen, und wenn dann wie bei unserer Rueckfahrt der Monsun einsetzt wird Autofahren zum Blinde Kuh Spiel. Das einzige Licht sind die Autoscheinwerfer, aber von denen funktioniert auf den Fijis nur maximal jeder Zweite, eher weniger. Das heisst man faehrt in stockfinsterer Nacht einaeugig im Monsunregen uber eine Strasse, in deren Schlagloecher Autos zur Haelfte verschwinden koennen.
Das Nationalgetraenk Kava musste ich auch das eine oder andere Mal probieren. Es ist irgendein Gebraeu aus einer Wurzel, und es enthaelt Alkohol. Es sieht aus wie das Wasser einer Baustellenpfuetze und es schmeckt wie ein Zahnarztbesuch. Und zehn Minuten nach dem Kava-Genuss wird ploetzlich Gaumen und Zunge taub. Ein ganz eigenartiges Gesoeff in jedem Fall.
Nach dem Turnier hatten wir zum Glueck noch einen freien Tag, den wir auf einer der kleinen Nebeninseln verbracht haben. Ganze 10 Minuten brauchte man, um die Insel zu Fuss zu umrunden, und wir verbrachten den Tag mit Schnorcheln und Relaxen an Strand und in Haengematten. Ein sehr guter Abschluss fuer die Fiji-Reise in jedem Fall.
Ansonsten ist die Anfangseuphorie nach den nun 13 Monaten ein wenig verschwunden, aber es geht mir hier nach wie vor blendend. Schritt fuer Schritt waechst auch der eigene Bekannten- und Freundeskreis. Mittlerweile habe ich hier auch einige andere Deutsche kennengelernt. Eigentlich meide ich die Gesellschaft der Deutschen und suche eher Kontakt zu den Einheimischen, aber es hat sich nunmal so ergeben. Das Interessante dabei ist, dass unter den Deutschen Auswanderern die ich bislang hier kennengelernt habe ein grosser Anteil Leute sind, die ich als Spiesser ersten Grades bezeichne. Eigentlich macht das wenig Sinn, denn Eigenschaften wie uebertriebener Ordnungssinn, geistige Unbeweglichkeit, starke Konformitaet mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veraenderungen im taeglichen Lebensumfeld sind in Australien eigentlich fehl am Platz und total unbrauchbar, weil der Lebensstil deutlich entspannter ist als in Deutschland. Aber vielleicht ist gerade das der Grund weshalb es viele deutsche Spiessbuerger nach Down Under zieht – denn die Aussies scheinen solche Attribute ein Stueck weit zu respektieren und fuer etwas Besonderes halten, weil sie unter ihres Gleichen nicht wirklich vorkommen. Anders kann ich mir nicht erklaeren weshalb die Aussie-Maenner so auf deutsche Frauen stehen bei denen das Marmeladenglas immer an den gleichen Stelle im Kuehlschrank stehen muss, weil sonst die taegliche Routine aus der Balance geraet. Opposites attract/Gegensaetze ziehen sich an – das gilt offenbar also auch in Down Under. Denn ich koennte auf alle Marmeladenglaeser auf dieser Welt einen Eid ablegen, dass noch kein einziger Australier einen Gedanken daran verschwendet hat wo die Marmelade zwischen Fruehstueck und Abendbrot geparkt wird. Eine sogenannte “Win-Win-Situation” also fuer alle: Die deutschen Frauen koennen ihr Spiessertum exzessiv ausleben, die Aussie-Maenner stehen drauf, und alle sind happy.
In den kommenden Tagen werde ich hier versuchen so regelmaessig wie moeglich von den Olympischen Spielen zu schreiben. Auch beim Thema Blog holen einen im uebrigen die strengen Vorschriften des olympischen Markenrechts ein: Die Mitglieder des australischen Olympiateams duerfen persoenliche Blogs z. B. auf ihren eigenen Websites nicht “Ian Thorpes Olympia-Blog” oder so nennen. Ist verboten. Bei mir ist es ein nicht ganz so brisanter Fall, da ich keine persoenlichen Sponsoren besitze und mein Blog auf der Website einer Lokalzeitung erscheint. Falls ich doch Probleme bekomme werde ich anstelle der Bezeichnung “Olympische Spiele” irgendwelche Synonyme verwenden. Nicht wundern also falls ich in den naechsten Tagen dann aus London von den “vierjaehrigen Gaumeisterschaften” oder dem “internationalen Festival fuer Amateursportler und zugelassene Profis” berichte.
Viele Gruesse nach Deutschland
Jens Lang
