So 13 Mai 2012
„Warum laufen wir?“
von Jens Lang in Blogs
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Besonders viel geht mir hier in Australien nicht auf die Nerven. Lediglich die Reiserei die mit meinem Job nun mal verbunden ist kommt nahe dran. Seit Ende Januar bin ich zum ersten Mal wieder drei Wochen am Stück zuhause in Brisbane. Dazwischen lagen Trips nach Townsville, Sydney (3x), Canberra, Melbourne (2x), Dortmund (das liegt in Deutschland), Auckland (Neuseeland) und Adelaide. Im März und April habe ich jeweils ganze fünf Nächte in meiner Wohnung verbracht. Da hätte ich meine Bude im Grunde für zwei Monate untervermieten können. Für die fünf Nächte hätte ich dann eine Luftmatratze genommen und im botanischen Garten gepennt.
Das schönste an der Reiserei ist die Rückkehr nach Brisbane, der Moment in dem ich aus dem Terminal trete und bei 25 Grad in den blauen Himmel schaue. Davon kriege ich nicht genug.
Im Februar fanden die Qualifikationsturniere für die Olympischen Spiele in London statt. Zunächst das australische, dann das kontinentale. Das Ergebnis war sehr gut für uns, wir haben unser gestecktes Ziel die maximale Anzahl an Spielern zu qualifizieren erreicht – jeweils zwei im Einzel und einen dritten Spieler für die Mannschaftswettbewerbe. Und mittlerweile habe ich auch die offizielle Bestätigung vom Australischen Olympischen Komitee bekommen, dass ich in London dabei bin! Das macht mich unheimlich stolz, und ich bin sicher, dass es ein unvergessliches Erlebnis wird. Einen kleinen Wehrmutstropfen gab es dann jedoch bei einer Telefonkonferenz mit dem AOC Anfang der Woche. Das Organisationskomitee LOCOG hat beschlossen, dass beim Einmarsch der Nationen nur Athleten und ganz wenige selektierte Coaches dabei sein dürfen. Das ist eine Änderung gegenüber den früheren Olympischen Spielen. Der TT-Coach hat hier in Australien leider keine besondere Priorität, aber mal schauen, irgendwie schmuggle ich mich schon dazwischen.
Ende März/Anfang April war ich dann für zwei Wochen in meiner Heimat Dortmund, wo ironischerweise die Mannschafts-Weltmeisterschaft stattfand. Sportlich war es ein großer Erfolg für uns, sowohl die Damen, als auch die Herren verbesserten ihr Ergebnis gegenüber der letzten WM in Moskau 2010 um jeweils 15 Positionen: Die Damen gewannen die 2. Division und wurden dadurch Gesamt-25. Bei der nächsten WM warten in der 1. Division dann Gegner wie China, Korea, Japan und…. Deutschland. Die Herren wurden Gesamt-35. und erzielten damit das beste Ergebnis seit 21 Jahren. Für mich eine sehr gute Referenz, denn letztlich kann ich mir die guten Resultate genauso auf meine Karte schreiben, wie ich für die schlechten den Kopf hinhalten muss.
Die Reise war eine Erfahrung für sich, denn es ist einfach seltsam sich 24 Stunden ins Flugzeug zu setzen um zu einer Veranstaltung mitten in der alten Heimat anzureisen. Unwahrscheinlich groß war die Anzahl der Leute, die ich im Rahmen der WM wieder gesehen habe. Ich konnte selten mehr als zehn Meter gehen ohne jemanden zu treffen. Es kam mir vor, als wären sämtliche Koryphäen aus der lokalen, regionalen, nationalen und internationalen TT-Szene für eine Woche in Dortmund gewesen. Wahrscheinlich hätte ich die komplette Woche ausschließlich mit Quatschen und Geschichten erzählen verbringen können, aber leider war es manchmal dann zu hektisch und es blieb kaum Zeit für einen kurzen Schnack, denn schließlich war ich ja in erster Linie beruflich vor Ort und hatte auch Verpflichtungen.
Zum Glück konnte ich auch Zeit mit der Familie verbringen, die fast täglich vor Ort war. Und obendrein haben sich ein paar Schulfreunde die Gelegenheit für das eine oder andere Treffen nicht nehmen lassen also war es rundherum ein echt toller Trip in die alte Heimat.
Aber trotzdem war die Freude zurück nach Hause zu fliegen nicht weniger groß. Nach wie vor geht es mir hier hervorragend, wenngleich die Anfangseuphorie nicht mehr ganz so groß ist wie noch im Juni 2011. Die zehn Monate die ich jetzt hier bin sind beinahe wie ein Fingerschnipps vorübergegangen.
Hier und da werden mir im Übrigen auch immer noch Überraschungen serviert, so dass keine Zeit für Langeweile bleibt: So zum Beispiel, als ich vor gut einem Monat früh morgens zu meinem Auto ging um zum Flughafen zu fahren. Von weitem sah ich, dass ein Wagen aus den am Straßenrand parkenden Autos hervortrat. Er war diagonal zur Hälfte auf dem Gehweg abgestellt, die Scheibenwischer waren hochgestellt. Das konnte unmöglich meiner sein, so hatte ich ihn den Abend vorher definitiv nicht abgestellt. Als ich näher kam traute ich meinen Augen nicht – die Fahrerseite sah aus, als hätte sich ein Hippo dran gerieben. Die komplette Seite war von einem scheinbar heftigen Einschlag zerknautscht, beide Türen, sowie Front- und Heckkotflügel reif fürs Altmetall. Zudem musste die Radaufhängung gebrochen sein, denn die Vorderräder standen zueinander wie meine Ski, als ich zum ersten Mal draufstand. Ich malte mir schon diverse Horrorszenarien aus, dann fand ich zum Glück eine Notizkarte im Türspalt eingeklemmt. Ich erwartete etwas wie: „Rücke vor bis zur Schlossallee,“ auf der einer der Mitspieler gerade ein Hotel gebaut hatte. Aber nein, glücklicherweise war es die Karte eines Police Constables der mir seine Kontaktdaten und die Info hinterlassen hatte, dass der Vorfall von der Polizei aufgenommen wurde.
So ging ich nach meiner Rückkehr abends direkt zur Wache (liegt direkt gegenüber meinem Appartmentgebäude) und fragte was zum Geier denn mit meinem Auto passiert wäre. Es stellte sich heraus, dass irgendein Trottel beim Ausparken laut eigener Aussage Gas und Bremse vertauscht („der Klassiker“, dachte ich mir) und zudem die Zugkraft seines Wagens unterschätzt habe und mir dann dermaßen in die Flanke geritten sei, dass seine Kutsche sogar einen Totalschaden davontrug.
Unglücklicherweise hatte er seinen Untersatz erst vor zwei Wochen erstanden und noch keine Versicherung abgeschlossen… Der Reparaturschaden an meinem Wagen betrug 9.000 AUD, die der Kollege jetzt womöglich selbst abrattern muss. Ist aber nicht mein Problem, wofür welches Pedal ist sollte man wissen wenn man vier Räder bewegt. Meine Versicherung hat mir freundlicherweise für die Reparaturzeit einen Mietwagen gestellt. Aber nichtsdestotrotz ist mein Wagen nun ein Unfallwagen was für den Verkaufswert nicht so toll ist.
Eine tolle Erfahrung war auch der einwöchige Trip nach Auckland/Neuseeland, bei dem ich im Rahmen der ozeanischen Jugendmeisterschaften auch ein dreitägiges Trainingscamp für den Weltverband ITTF geleitet habe. Neben den Nachwuchsspielern aus Australien und Neuseeland waren auch etliche Jungs und Mädels inklusive Trainer von den pazifischen Inseln dabei, wie z.B. Kiribati, Fiji, Neukaledonien oder Cook Islands. Und ganz ehrlich: ich habe noch nie fröhlichere und glücklichere Menschen getroffen als sie. Zeit spielt bei ihnen keine Rolle, was zählt sind Essen, Familie, Essen, Sonne, Essen, Strand und Essen. Sie sind mit den unglaublichsten Kleinigkeiten zum Lachen zu bringen. Eines ihrer Highlights in der Woche war der Kaffeeautomat im TT-Zentrum Aucklands, der für die Woche Kaffee umsonst spendete. Als ich einem kleinen Jungen von den Fiji-Inseln zeigte wie man einen Ball abwechselnd auf der Vorhand- und Rückhandseite ticken lässt, riss es ihn zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Er schien es nicht für möglich gehalten zu haben, dass das überhaupt im Bereich des technisch möglichen liegt.
Herzerfrischend unverbraucht auch die Frage eines Mädchens von den Cook Inseln an ihren Trainer, als ich die Jugendlichen vor der ersten Trainingseinheit zum Warmlaufen schicke: „Warum laufen wir?“ Die Erklärung des Trainers mir gegenüber machte dann Sinn: Die Cook Inseln liegen mitten im Pazifik und haben für gewöhnlich Temperaturen die ein Aufwärmen zumindest im wörtlichen Sinn nicht nötig machen. Deswegen hat das bislang auch keines der Mädels jemals gemacht.
Brisbane Roar mit dem deutschen Thomas Broich ist hier vor kurzem erneut Meister geworden. Dabei haben die beiden Ex-Bundesligaprofis Broich und Besart Berisha tragende Rollen gespielt. Gegen Perth Glory lag Roar im eigenen Stadion bis zur 84. Minute mit 0-1 zurück. Dann flankte Broich auf den Kopf von Berisha, der nickte zum 1-1 ein. Von hieran nahm das Unheil für die Gäste ihren Lauf. In der 88. Minute setzte es eine Rote Karte, und als sich in der 95. Spielminute Besart Berisha im Strafraum beim Schussversuch vor das eigene Standbein tritt gab es sogar Elfmeter für Roar. Den verwandelte Berisha selbst zum sehr glücklichen 2-1. So will man sicherlich keinen Meistertitel gewinnen.
Ich habe unter der Woche meine ersten drei freien Tage genossen. Seit einer Woche ist keine Wolke am Himmel, deswegen bin ich die ganze Zeit draußen und verbringe die Zeit mit Golfen, Body Boarden, Sport und allem was man sonst noch gerne draußen und am Wasser macht.
Anfang Juni steht dann der nächste Trip an. Dieses Mal geht es für acht Tage auf die Fiji-Inseln. Kein allzu schlechtes Ziel für einen „Business Trip“…
Beste Grüße aus Brisbane
Jens Lang
