Do 12 Apr 2012
Halbzeitreport
von Anna_Soerries in Blogs
Keine Kommentare
Es ist kaum zu glauben, aber es sind nun sechs Monate vergangen seit ich aus Deutschland abgeflogen bin. Aus diesem Grund ist es Zeit ein erstes Fazit zu ziehen.
Was habe ich erlebt und wie ist es mir ergangen?
Welche meiner Vorstellungen dieser Reise haben sich bewahrheitet und welche waren einfach nur Träume?
Wie wird es nun weitergehen und was möchte ich noch sehen?
Es begann alles am 13. Oktober als ich am Frankfurter Flughafen abgeflogen bin. Zunächst vollkommen selbstsicher, doch nach der Passkontrolle gab es dann doch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Doch ich wollte schon so lange Neuseeland sehen und die Vorfreude siegte dann sobald der Weg zum Flieger geöffnet wurde. Danach ging alles sehr schnell: Die ersten Kontakte, die ersten Trips durch das Land, die Entscheidung zur Südinsel zu fahren bevor ich die Nordinsel erkunde, der erste Job. Weihnachten und Silvester fern von der Familie und den Freunden. Aber es wird einem einfach gemacht sich immer wohl zu fühlen, weil die Menschen einfach sehr freundlich sind.
Bereits vor meiner Reise habe ich gelesen und gehört, dass Kiwis hilfsbereit und gastfreundlich sind. In den letzten Monaten durfte ich dies am eigenen Leib erfahren. Ob es nun einfach eine Auskunft war, eine Einladung zum Kaffee oder zum Essen, eine Tour durch die Region, ein Rubgy-Ticket,…
In den Hostels trifft man aber vor allem andere Backpacker. Aus allen Herrenländern und in einer Altersspanne von kleinen Kindern, die mit ihren Eltern reisen zu einer 82jährigen, die mit dem Rucksack durchs Land zieht. Wenn man reist werden die Personen, die man trifft schnell zu Freunden. Da man auf engem Raum zusammenlebt lernt man sich schneller kennen und vertraut auch schneller. Irgendwie ist man auch darauf angewiesen – insbesondere, wenn man alleine reist. Kein Mensch ist gerne auf Dauer alleine. Aber zum großen Teil sind es nur kurzfristige Freundschaften oder Bekanntschaften, die entstehen. Es gibt nur wenige Personen, die einem auf den Reisen so wichtig werden, dass man mit ihnen in Kontakt bleibt. Das erscheint vielleicht oberflächlich, aber als Backpacker lebt man im hier und jetzt, manche Dinge bleiben da auf der Strecke. Aber Dank Facebook wird es einem sowieso einfach gemacht in Kontakt zu bleiben, auch wenn man schon lange das Land wieder verlassen hat.
Zwei Dinge habe ich von diesen Menschen gelernt:
1. Sie sind auch nur Menschen. Sie haben Fehler, sie haben Schwächen und eigentlich soll man diese überhaupt nicht sehen. Aber das lässt sich hier nicht vermeiden. Zudem ist es viel einfacher offen zu sein.
2. Man braucht nicht viel zum Leben. Wir leben in einem extremen Luxus (und das habe ich hier immer noch, ich weiß gar nicht was ich schreiben würde, wenn ich in einem Entwicklungsland unterwegs wäre) und wir brauchen diesen übermäßigen Konsum eigentlich gar nicht. Un-eigentlich ist es unglaublich komfortabel. Ich freue mich schon auf die Badewanne zuhause…
Aber nicht nur die Menschen machen es einfach sich wohl zu fühlen. Man hat überhaupt keine Zeit darüber nachzudenken was daheim los ist, wenn man sich die Landschaften hier ansieht. Ich habe schon einige wunderschöne Flecken von Neuseeland gesehen, wobei ich die schönsten Dinge wohl noch vor mir habe (so viel habe ich im Grunde genommen noch nicht gesehen).
Letztes Jahr habe ich zum Geburtstag von einer Freundin eine Liste zugeschickt bekommen, was ich in Neuseeland machen sollte. Zu dem Zeitpunkt war sie gerade dort. Nach einem halben Jahr kann ich nun behaupten, dass ich fast alles von dieser Liste gemacht habe. Abgesehen von den Dingen, für die ich ein Auto benötigen würde. Aber vielleicht kommt das auch noch. Ich habe aber auch bemerkt, dass wir die Orte und Ereignisse auf verschiedene Weise angehen, erleben und aufnehmen. Dies gilt auch für eine zweite Liste, die ich von einer anderen Freundin bekommen habe. Auch sie war in Neuseeland gewesen und hat mir geschrieben, welche Orte besonders sehenswert sind und welche man beruhigt auslassen kann. Ich habe sie nach ihrem Jahr vom Flughafen abgeholt und sie meinte zu mir, dass ihr auch acht Monate gereicht hätten. Danach hatte sie ganz Neuseeland gesehen und es wäre fast schon langweilig geworden.
Nach sechs Monaten habe ich vielleicht ein Drittel von Neuseeland gesehen und bin voller Vorfreude auf den Rest. Es ist hilfreich und interessant Erfahrungsberichte und Tipps von anderen zu bekommen, ich lese auch jetzt noch gerne die Blogs von anderen Menschen, doch nichts geht über das eigene Erleben. Man nimmt die Erfahrungen so unterschiedlich auf, dass es immer ein einzigartiges Erlebnis ist.
Vor einer Reise informiert man sich, man hat seine eigenen Vorstellungen. So auch ich und ich muss sagen, Teile davon waren etwas verklärt. Mit der Zeit sieht man auch das andere Bild des Landes und mein früherer Traum, mal Auszuwandern (ich habe ihn schon vor einigen Jahren wieder abgelegt) und nach Neuseeland zu gehen, hat sich ausgeträumt. Aber wie man es im ersten Teil lesen kann: Ich bin immer noch begeistert und ich werde ganz bestimmt nach diesem Jahr nochmal wiederkommen. Aber aus realistischer Sicht möchte ich auch die negativ(er)en Seiten des Landes beleuchten:
1. Ich komme einfach nicht damit klar, dass die Jahreszeiten falsch herum sind. An Weihnachten war es heiß und es kam keine richtige Stimmung auf und nun, wo es kälter wird, Ostern gerade vorbei ist will ich keine Schokohasen sondern Nikoläuse. Bei der Arbeit texte ich die Weihnachtslieder um, damit sie auch zum Fest passen („Last Eastern I gave you my heart…“, „I’m dreaming of a white Eastern…“). Es ist schon sehr verwirrend. Dieses Jahr werde ich wohl einfach ein halbes Jahr in Weihnachtsstimmung sein, dabei ist im Grunde genommen erst Herbst.
2. Milchprodukte. Nicht nur, dass Milch und Käse unglaublich teuer sind und die Produkte, die exportiert werden in dem anderen Land dann günstiger zu erwerben sind. Die Sachen schmecken auch nicht. Die Käsesorten schmecken alle gleich (mal von der Konsistenz abgesehen) und die Milch hat – je nach Regionsmischung – einen eigenartigen Beigeschmack.
3. Großstädte sind in Neuseeland nur Großstädte, weil jeder Kiwi ein eigenes Haus besitzt. Ein neuseeländisches Haus ist allerdings nicht, was man in Deutschland als ein Haus kennt. Zum Großteil sind es kleine Holzhütten, die weder einen Keller noch eine zweite Etage besitzen, geschweige denn größer sind als ein Bauwagen. Zudem haben Kiwis von Energiesparen und Isolierung nicht wirklich eine Ahnung. Die läppischen Fenster, schließen nicht ordentlich und die Wände sind so dünn, dass man sie wohl mit einem einfachen Hammer durchschlagen könnte. So entweicht viel Wärme und es wird einfach der Elektroheizer höher gedreht. Dies ist vielleicht etwas überspitzt dargestellt, aber nicht vollkommen realitätsfern.
4. Wenn man in Neuseeland kein Geld hat, hat man verloren. Das sagt man vielleicht in Deutschland auch, doch dort ist man um einiges besser durch den Staat abgesichert als hier. Man sollte die ganzen staatlichen Vorsorgen mehr wertschätzen. Gute Bildung kostet in Neuseeland viel Geld. Gesundheitsvorsorgen und -behandlungen müssen auch zum großen Teil aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Zwar gibt es hier einen gesetzlichen Mindestlohn (diesen Monat wurde er auf 13,50 NZ$ erhört, was ungefähr 8,45EUR sind. Davon werden aber im Schnitt 18% Steuern abgezogen) doch die Lebenskosten (siehe z. B. Punkt 2) sind auch hoch. Auch ist die Arbeitssituation in manchen Jobs nicht gut. Dies darf ich gerade ja an eigenem Leib erfahren.
5. Ein letzten Punkt gibt es noch. Der ist jedoch der Anreiz der Reise und das „größte“ Manko, wenn man hier lebt: Neuseeland ist am Ende der Welt. Komplette Abgeschiedenheit. Entweder wird im eigenen Land oder in Australien Urlaub gemacht. Da liebe ich den Luxus, dass Deutschland in Europa liegt und es nur ein Katzensprung in andere Länder ist, die ich auch noch ohne jegliche Passkontrolle besuchen kann.
Aber ich möchte ja nicht für immer hierbleiben, einfach nur temporär ein Kiwi sein, reisen, Erfahrungen machen, wachsen. Dazu gehören die guten, wie auch die schlechten Dinge des Lebens.
Ein Jahr in Neuseeland heißt aber auch ein Jahr weg von der Familie. Das soll nicht bedeuten, dass ich Heimweh habe. Ich liebe es unterwegs zu sein und neue Sachen zu sehen. Zudem ist man durch Handy und Internet immer erreichbar, auch wenn man zwischen 10 und 12 Stunden voneinander getrennt ist. Ich vermisse eher die Familienmitglieder, die man nicht einfach sprechen kann. Meinen Dackel zum Beispiel. Zudem gab es Anfang des Jahres einen neuen Welpen, den ich dann erst kennenlerne, wenn sie schon fast ein Jahr alt ist. Doch solange ich weiß, dass es allen gut geht und ich hier ab und zu Hunde oder Tiere im allgemeinen um mich herum habe, ist alles in Ordnung. Sobald ich auch wieder unterwegs bin und nicht mehr meine stupide Arbeit erledigen muss habe ich auch endlich keine Zeit mehr dazu mir viele und meist sinnlose Gedanken zu machen. Dann wird sich auch nicht mehr über ungerechte Arbeitsverhältnisse geärgert, sondern nur über die atemberaubende Landschaft gestaunt und neue Leute gelernt.
